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Mitten im Berliner Dschungel

ein geschmückter Innenhof
28.04.2022

Der Hof am Haus Schwarzenberg liegt versteckt neben den Hackeschen Höfen. Wer ihn betritt, fühlt sich zurückversetzt in die wilden Jahre der Wendezeit

Nicht nur schöne Fassaden und Straßenzüge, sondern vor allem Hinterhöfe machen Berlin so lebendig. Hinter den straßenseitigen Vorzeigehäusern erstrecken sie sich oft weit in die Areale hinein. In den früheren Arbeitervierteln im Prenzlauer Berg oder im Wedding sind heute viele Höfe begrünt und werden liebevoll gepflegt. Geschäfte, Gärten oder soziale Einrichtungen machen sie zum Mittelpunkt städtischen Lebens in den Quartieren. Gleichzeitig lassen sie auch heute noch erkennen, wie eng es in den Mietskasernen des 19. Jahrhunderts zugegangen sein mag.

In Berlin-Mitte entstanden zum Teil prächtige Innenhöfe, die auch heute noch Leben und Arbeiten, Gewerbe, Handel und Wohnen verbinden. Viele dieser repräsentativen Anlagen haben den Sprung in die Neuzeit geschafft. Die Hackeschen Höfe beispielsweise, aber auch die Heckmann-Höfe oder die Rosenhöfe bieten quirliges Leben mitten in der Stadt und zugleich die Abgeschiedenheit von stillen Wohnarealen. 

Der Hof am Haus Schwarzenberg wirkt wie aus der Zeit gefallen 

Anders der Hof am Haus Schwarzenberg, der etwas versteckt neben dem Haupteingang zu den Hackeschen Höfen liegt. Das kleine Ensemble mit seinem langgestreckten L-förmigen Innenhof in der Rosenthaler Straße 39 wirkt immer noch wie aus der Zeit gefallen. Bis heute betrachten die ansässigen Mieter das Ensemble als „Zeugnis deutscher Geschichte und als lebendigen Ort internationaler kreativer Subkultur“, wie es auf der Webseite des Trägervereins heißt. 

Die Anlage in der Rosenthaler Straße 39 stammt aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und diente lange Zeit als Fabrik- und Wohngebäude. Das war sehr typisch für die Spandauer Vorstadt, die für ihre enge Straßen und die Armut der Bewohner bekannt war. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde das Viertel teilweise modernisiert: Da entstanden Bauten wie die Hackeschen Höfe, das Kino Babylon oder die Volksbühne. 

Bild: Jörg Zägel

Alte Wäschefabrik

Ein Zentrum jüdischen Lebens in Berlin 

Die Spandauer Vorstadt war zugleich ein Zentrum für jüdisches Leben. Nahezu 300 jüdische Einrichtungen – Synagogen, Schulen, öffentliche Einrichtungen, Vereine und koschere Restaurants - gab es hier, bevor die Nazis die Macht ergriffen. 

Seit 1940 fertigt der Bürstenmacher Otto Weidt Besen und Bürsten in der Rosenthaler Straße 39. Mehr als dreißig jüdische Blinde und Gehörlose beschäftigte er. Weil die Besen und Bürsten auch an die Wehrmacht geliefert wurden, galt die Werkstatt als „wehrwichtig”. Deshalb konnte Otto Weidt seine Beschäftigten eine Zeit lang vor der Deportation bewahren oder verstecken. 

Nach dem Krieg blieb die Werkstatt noch bis 1952 bestehen. Später unterhielt die Deutsche Film AG, die DEFA eine Niederlassung in dem Haus. In den folgenden Jahren verfiel das Ensemble langsam. Erst mit dem Mauerfall erwacht die Anlage wie die ganze Spandauer Vorstadt wie aus dem Dornröschenschlaf zu neuem Leben.

Bild: Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Portrait von Otto Weidt

Die Wende in der Spandauer Vorstadt

1995 bezieht die West-Berliner Künstlergruppe „Dead Chickens“ mit anderen Kunst- und Kulturschaffenden das mittlerweile leer stehende Gebäude. Die Künstler geben ihm einen neuen Namen: Haus Schwarzenberg heißt es nun, nach einem Roman des DDR-Schriftstellers Stefan Heym über eine kleine basisdemokratische Republik im Erzgebirge, direkt nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch während das echte Schwarzenberg nur wenige Wochen besteht, kann der Verein Haus Schwarzenberg das Gebäude langfristig nutzen. 2004 kauft der Berliner Senat mit Hilfe des Bundes das Ensemble, das der Verein Haus Schwarzenberg anschließend mietet.


Blick in den Innenhof

Heute ist die Rosenthaler Straße 39 immer noch ein Knotenpunkt für Geschichte(n): Hier befindet sich das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt. Auch ein Anne-Frank-Zentrum – das Mädchen hat Berlin allerdings nie besucht – ist hier mit Veranstaltungen und Ausstellungen zu Hause. Daneben trotzen das Central-Kino, das Café Cinema, der 1995 gegründete Club „Eschschloraque Rümschrümp” und die Galerie Neurotitan der Zeit. Graffitis, bunte Street-Art und der bröckelnde Putz des letzten Jahrhunderts schaffen hier eine einzigartige Atmosphäre. Für kurze Momente wird der Dschungel Berlins der 1990er Jahre wieder lebendig.

Blick in den Innenhof Blick in den Innenhof
Wand voller Graffiti Wand voller Graffiti