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Stolz, Zerstörung, Wiederaufbau – das Centrum Judaicum

Die Kuppel der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße  in Berlin
Februar 2023

Rund um die Hackeschen Höfe lebten im 19. Jahrhundert viele jüdische Berliner. So entstand hier auch die größte Synagoge Deutschlands. Eine Ausstellung zeigt die spannende Geschichte des Gebäudes.

Die bekannteste Synagoge der Stadt ist gar keine. Jeder Berliner kennt die vergoldete Kuppel der „Neuen Synagoge” in der Oranienburger Straße, die einem Märchen aus 1001 Nacht zu entstammen scheint. Doch nur wenige wissen, was sich unter der Kuppel befindet. Wer sich von den leider notwendigen Sicherheitsmaßnahmen nicht abschrecken lässt, den erwartet eine Begegnung mit einem faszinierenden Gebäude.

Foto oben: ©Jana Blechschmidt

Von der Synagoge zum „Centrum Judaicum”

Die eigentliche Synagoge gibt es nicht mehr. Nur das Verwaltungs- und das Eingangsgebäude wurden Anfang der 90er-Jahre wiederhergestellt. In ihren Räumen befindet sich heute das „Centrum Judaicum”. Neben der Dauerausstellung bietet es Raum für Veranstaltungen, wechselnde Ausstellungen und ein Archiv. Aber auch einen Gebetsraum gibt es im Gebäude. Hier finden wöchentlich Gottesdienste statt. Wer teilnehmen möchte, muss sich vorher anmelden. Neben diesem Gebetsraum betreibt die jüdische Gemeinde in Berlin sieben Synagogen.


Foto links: Eingangs-Rotunde ©Henry Lucke

Ausstellung des Centrums Judaicum in der Eingangs-Rotunde der Neuen Synagoge

Ein neues Selbstbewusstsein

Im 19. Jahrhundert lebten die meisten Juden Berlins im Zentrum der Stadt – und hier vor allem in der „Spandauer Vorstadt”, zu der auch die Hackeschen Höfe gehören. Deshalb ließ die jüdische Gemeinde hier eine neue Synagoge errichten. Die Gemeinde war stark gewachsen, die bisherige Synagoge längst zu klein geworden. Die „Neue Synagoge“ wurde zwischen 1859 und 1866 erbaut. Mit dem Projekt wurden renommierte Architekten beauftragt, erst Eduard Knoblauch, später Friedrich August Stüler. Der neue Bau sollte die Größe und das gewachsene Selbstbewusstsein der Gemeinde dokumentieren. Die Juden, in Preußen erst zu Anfang des 19. Jahrhunderts gleichgestellt, waren in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Vielen von ihnen war ein steiler wirtschaftlicher Aufstieg gelungen


Bild rechts: die „Neue Synagoge” auf einem Ölgemälde von 1865

Ölgemälde mit der Oranienburger Straße und der Neuen Synagoge in Berlin
Eingangsportal der Neuen Synagoge in Berlin mit hebräischer Inschrift
Foto links: Eingangsportal ©holz85, rechts: ©Jens Cederskjold

Tuet auf

Als erstes jüdisches Gotteshaus in Deutschland öffneten sich die Tore der „Neuen Synagoge” direkt zur Straße. Dazu passte der Satz eines Propheten, der über dem Eingang angebracht wurde: „Tuet auf die Pforten, dass einzieht das gerechte Volk (...)” Die Original-Lettern der Inschrift werden heute in einem Schaukasten in der Eingangs-Rotunde ausgestellt. Das „Centrum Judaicum” sieht in dem Zitat ein Symbol für das Selbstverständnis der damaligen jüdischen Gemeinde: zwischen Öffnung  – im ersten – und Tradition – im zweiten Teil des Satzes. Das „Tuet auf” hat es sich als Motto gewählt. Auch für Frauen öffneten sich in der „Neuen Synagoge” Türen: Sie konnten hier erstmals am Gottesdienst teilnehmen – wenn auch räumlich getrennt von den Männern.

Vorbild Alhambra

Die „Neue Synagoge” war zur Zeit ihrer Eröffnung 1866 die größte und repräsentativste in Preußen und im wenige Jahre später gegründeten Deutschen Reich. Sie bot Platz für 3.200 Menschen, der Hauptsaal war 27 Meter hoch. Ihre prachtvolle orientalische Architektur erregte Aufsehen. Als Vorbilder dienten die maurische Alhambra in Granada und indisch-islamische Architektur. Die Synagoge wurde zu einer der beliebtesten Sehenswürdigkeiten Berlins. Von Antisemiten wurde sie dagegen als Provokation angefeindet.


Bild links: Saal der Hauptsynagoge um 1888

Hauptsaal der Neuen Synagoge in Berlin von innen

Die Zerstörung

Während des Novemberpogroms 1938 setzten Nazi-Horden das Gebäude in Brand. Ein mutiger Reviervorsteher hielt sie jedoch auf und holte die Feuerwehr. So konnte er größere Schäden verhindern. Noch bis 1942 fanden in der Synagoge Gottesdienste statt. Ende 1943 wird sie bei einem Luftangriff schwer beschädigt. Zu dieser Zeit leben nur noch wenige untergetauchte Juden in Berlin. 54.000 Berliner Juden wurden ermordet. Nach dem Ende des Weltkrieges wird das Gebäude zum Sitz der von Überlebenden neu gegründeten jüdischen Gemeinde.

Die Hauptsynagoge wird 1958 gesprengt – wegen Baufälligkeit und weil der Raum zu groß ist für die wenigen Juden, die es, zumal im Ostteil der Stadt, noch gibt. Die zur Oranienburger Straße gelegene Vorderfront bleibt erhalten – als Mahnmal gegen Krieg und Faschismus. Die Gebäude verfallen aber in den folgenden Jahrzehnten zunehmend, bis sich 1988 noch die Regierung der DDR zu einer Wiederherstellung entschließt.


Foto rechts: Innenraum der Neuen Synagoge 1945 ©EnoV

Innenraum der Neuen Synagoge nach Bombenangriff

Die Restaurierung

Die große Kuppel und die Kuppeln der beiden seitlichen Türme wurden originalgetreu wiederhergestellt und erinnern so an die einstige Pracht. Bei der Wiederherstellung der Außenfassade blieben durch den Kontrast zwischen den rußgeschwärzten Originalteilen und hellen neuen Steinen Verfall und Zerstörung weiterhin sichtbar. Die Innenausstattung wurde nur da rekonstruiert, wo originale Bauteile erhalten geblieben waren. Besonders beeindruckend: das große mit orientalisierenden Wandmalereien geschmückte Treppenhaus. Die Rückseite des Gebäudes, die Bruchkante zu dem gesprengten Hauptsaal der Synagoge, wird durch ein Stahlgerüst geschützt und überdacht. Dahinter befindet sich eine große Freifläche. Hier markieren Granitplatten auf dem Boden den Umriss des nicht mehr bestehenden Baus und vermitteln dem Besucher eine Vorstellung von seiner Größe.


Foto links: Aus Schutt konnten Fragmente der Innenausstattung geborgen werden.


Fragmente des ehemaligen Altars der Neuen Synagoge

Die Ausstellung


Bei den Restaurierungsarbeiten konnten aus dem Schutt noch wichtige Kultgegenstände der ehemaligen Synagoge geborgen werden. Einer war sogar in eine Bodenplatte einbetoniert. Ein besonderes Ereignis war der Fund einer vollständig erhaltenen „Ewigen Lampe”, die Gottes Gegenwart in der Synagoge symbolisiert. Andere Stücke wie ein Altarstein oder ein Reinigungsbecken wurden durch Fragmente lückenhaft wieder zusammengesetzt. Ein zweiteiliger Thoravorhang hat auf anderen Wegen weitgehend unbeschadet überdauert. All diese Objekte sind in der ständigen Ausstellung des „Centrum Judaicum” zu sehen. Die Ausstellung erzählt neben der Geschichte des Gebäudes die der jüdischen Gemeinde in Berlin und beleuchtet dabei auch beispielhaft das Leben einzelner Menschen oder Familien. Besonders berührend: einige letzte Briefe, die Menschen auf dem Weg in die Vernichtungslager noch an ihre Angehörigen schicken konnten.


Foto rechts: Die „Ewige Lampe”  © Henry Lucke

„Ewige Lampe” aus Metall aus der Neuen Synagoge

Besucherinformation

Das Centrum Judaicum ist im Winter von Sonntag bis Donnerstag von 10-18 Uhr und am Freitag von 10-15 Uhr geöffnet.
Im Sommer von Montag bis Freitag von 10-18 Uhr und am Sonntag von 10-19 Uhr.
Am Samstag ist geschlossen.

Der Eintritt kostet 7 €, 4,50 € ermäßigt.

Das Centrum bietet Führungen zu verschiedenen Themen an. Diese dauern 60, 90 oder 120 Minuten und kosten je nach Dauer 60, 90 oder 120 Euro.

Von den Hackeschen Höfen erreicht man das Centrum Judaicum zu Fuß in acht Minuten. Ansonsten vom S-Bahnhof Oranienburger Straße und mit den Tram-LInien 12 und M5.